Drei-Metaboliten-Messgerät für sicheres und bequemes Diabetesmanagement

Bei Formen von Diabetes, die eine regelmäßige Insulingabe erfordern, hängt die Wirksamkeit der Behandlung in hohem Maße von der Fähigkeit der Patienten ab, ihre Blutzuckerspiegel permanent zu überwachen und sich das Insulin entsprechend selbst zu verabreichen. Dies stellt nicht nur eine große Beeinträchtigung im Alltag dar, sondern birgt auch die Gefahr einer Über- oder Unterzuckerung. Zudem lässt sich ein Blutzuckermangel in bestimmten Situationen nur unzureichend vorhersagen. Forschende des Fraunhofer EMFT entwickeln gemeinsam mit fünf europäischen Partnern einen implantierbares Mess- und Dosiersystem. Dieses ist in der Lage, alle relevanten metabolischen Schlüsselparameter situationsspezifisch zu überwachen und die Insulindosierung entsprechend anzupassen. 

© Fraunhofer EMFT/ Bernd Müller
Adaptives Sicherheitsventil für Mikropumpen als Schutz vor Überdosierung

Diabetes mellitus ist global auf dem Vormarsch. Die Fallzahlen haben in den letzten drei Jahrzehnten dramatisch zugenommen und bis 2045 gehen Expertenschätzungen von rund 629 Millionen Erkrankungen weltweit aus. Derzeit verfügbare Behandlungen von Diabetes schränken Betroffene nicht nur in ihrem Alltag ein, sondern sind auch fehleranfällig. Patientinnen und Patienten müssen ihren Blutzuckerspiegel ständig im Blick haben und die Insulindosierung entsprechend anpassen. Das Problem: In bestimmten Situationen, wie z. B. bei körperlicher Betätigung, kann der Glukosespiegel schnell sehr stark schwanken. Bisherige Messgeräte verfügen über keine Vorhersagealgorithmen, die in solchen Fällen eine sichere Prognose geben könnten. Eine zu hohe oder zu niedrige Insulindosierung können jedoch leicht zu Über- oder Unterzuckerung führen und die Gesundheit gefährden.

Hier setzt das Forschungsteam des EU-Projekts MuSiC4Diabetes an: Die interdisziplinären Expertinnen und Experten arbeiten an der Entwicklung eines Drei-Metaboliten-Messgeräts. Ein spezieller Algorithmus soll dabei die simultane Erfassung der drei physiologischen Schlüsselsignale Glukose, Laktat und 3 β-OH-Butyrat ermöglichen. Der Multi-Metaboliten -Steuerungsalgorithmus nutzt diese Signale, um Systemverzögerungen vorherzusagen und über eine hochentwickelte Insulinpumpe präzise Steuerungsmaßnahmen auszulösen. Die Pumpe kann die berechnete Insulindosis extrem präzise dosieren und intraperitoneal abgeben. 

© Fraunhofer EMFT/ Bernd Müller
Self-Sensing einer piezoelektrischen Mikropumpe: Blasenerkennung durch Überwachung des Antriebssignals

Als Backup verfügt das Gerät zudem über weitere Sicherheitsfunktionen wie z. B. einen Free-Flow-Stopp, der im Fehlerfall eine Überdosierung von Insulin verhindert und weiterhin eine Selbsterkennungsfunktion zur Erkennung interner Störungen, die durch künstliche Intelligenz unterstützt wird. Das Fraunhofer EMFT übernimmt dabei unter der Projektleitung von Dr. Sebastian Kibler die Entwicklung der Mikropumpe, des Sicherheitsventils, der Selbsterkennungsfunktion und der Systemintegration des Dosiermoduls. Mikropumpe und Sicherheitsventil werden dabei in Silizium durch mikromechanische Prozesse realisiert, der Mikropumpen-chip und das Sicherheitsventil haben ein ultrakompaktes Bauvolumen von insgesamt nur 7x7x2 Kubikmillimetern.

Die Mikropumpe und das Sicherheitsventil müssen dabei extrem herausfordernde Anforderungen erfüllen: bei einem winzigen Hubvolumen von nur 0,1 Kubikmillimetern darf die Mikropumpe bei auftretenden Gegendrücken nicht mehr als 5% Hubvolumen verlieren, zudem muss die Saugfähigkeit so groß sein, dass die Mikropumpe bei einem Unterdruck von 350 mbar noch eine Gasblase pumpen kann. An diesen Anforderungen sind bislang weltweit alle Mikropumpen gescheitert. Dem Fraunhofer EMFT ist es mit seiner mehr als 30jährigen Erfahrung gelungen, diese Komponente zu entwickeln. Die dazu nötige Pumpentechnologie wurde patentiert ist für den Markt verfügbar.

In Hinblick auf die erlaubten Leckraten wird die Mikroventiltechnologie neue Maßstäbe setzen: Angestrebt wird eine Leckrate, die bei jeglichen auftretenden Drücken nicht höher sein soll als ein 1/10 Kubikmillimeter pro Stunde. Schließlich muss die Mikropumpe auch so schonend angesteuert werden, dass das Insulinmolekül in der Pumpkammer nicht geschädigt wird und sich dadurch Ablagerungen in der Mikropumpe ergeben.

Die Selbsterkennungsfunktion ist eine disruptive Innovation, mit der Dosierstörungen, etwa das Auftreten von Gasblasen, erkannt und kompensiert werden können. Dazu wird der so genannte Piezoeffektes ausgenutzt, der sowohl als Aktor als auch als Sensor verwendet werden kann. Durch das genause Messen des (ohnehin notwendigen) Ansteuerstroms erhält man für jeden Pumphub einen zeitaufgelösten „Fingerabdruck“ der Vorgänge in der Pumpkammer. Diese zeitaufgelösten Daten werden mit Hilfe künstlicher Intelligenz in einem Trainingsmessplatz trainiert und das Trainingsergebnis anschließend auf einen einfachen Mikrokontroller überspielt.

Dank dieser hocheffizienten und innovativen MEMS-Pumpentechnologie hält das Team eine Batterielebensdauer von 10 Jahren für realisierbar. Hinsichtlich des Insulin-Nachfüllintervalls gehen die Projektpartner aktuell von etwa 3 Monaten aus und wollen mit Hilfe weiterführender Tests ausloten, ob sich dieser Zeitraum auf bis zu ein Jahr verlängern lassen könnte.

Das Vorhaben wird im Rahmen des Pathfinder-Programms des Europäischen Innovationsrates (EIC) gefördert (HORIZON-EIC-2022-PATHFINDERCHALLENGES-01-04, proposal number 101115233). 

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Projekt-Website Music4Diabetes

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Forschungsfeld: Mikropumpen

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